Alles Propaganda!

In seinem neuen Buch „Alles Propaganda!“ analysiert unser fischerAppelt, advisors Geschäftsführer Birand Bingül allgegenwärtige Manipulationsstrategien und erläutert die Funktionsweise von Propaganda: wie können wir sie verstehen, wie ist sie zu dekodieren?

Trump, Orbán, Putin oder die AfD – durch Propagandist:innen und Propaganda-Parteien wird die liberale Demokratie mit orchestrierten Kommunikationsstrategien bewusst destabilisiert, es wird angestrebt den gesellschaftlichen Dialog zu unterbinden. Geschieht dies, werden auch die Meinungsbildung und Demokratie gelähmt. Um dem entgegenzuwirken, ist ein Verständnis der kommunikativ-historischen Dimension von Propaganda essentiell. Die Debattenkultur ist zunehmend unversöhnlich, die Rhetorik aufgeheizt.

In „Alles Propaganda!“ erklärt Birand Bingül die Wirkungsweisen von Propaganda in Politik und Gesellschaft und wie auf Basis dieses Verständnis Gegenstrategien entwickelt werden können.

Wir haben mit dem Kommunikationsexperten über sein neues Buch gesprochen:

Häufig werden Propaganda und PR gleichgesetzt. Wo liegt der Unterschied?

Birand Bingül: Zwischen PR und Propaganda ist eine deutliche Grenze zu ziehen! Propaganda will manipulieren und indoktrinieren und ist damit der radikale Missbrauch von strategischer Kommunikation. Propaganda ist ideologische Manipulationskommunikation, sie inszeniert ein Verwirrspiel um Lüge und Wahrheit. PR hingegen will überzeugen und sagt: “Hier sind unsere Argumente. Das sind unsere Stärken.” Die Ziele von PR sind klar und offen.

Propaganda ist kein unbekanntes Phänomen. Aber was können wir heutzutage unter Propaganda verstehen und wie hat es sich verändert?

Birand Bingül: Propaganda greift um sich. Propagandaparteien haben ein manipulatives Geschäftsmodell daraus gemacht. Aus Kommunikatorensicht kann ich das immer gleiche Muster finden. Das heißt: Es gibt eine richtige Blaupause, die weltweit von Propagandaparteien angewandt wird, ob in Deutschland, Österreich, Brasilien oder den USA. Und: Sie haben damit erschreckend viel Erfolg. Das heißt, das ist die schlechte Nachricht: Propaganda ist bedrohlicher als je zuvor und ist an vielen Stellen dabei, liberale Demokratien auszuhöhlen und abzuwürgen. Im Prinzip nutzt die Propaganda von heute dasselbe Strickmuster wie die Nazis, sie hat es aber modernisiert, Stichwort Social Media, und geht sehr planvoll und rational um. Die Nazi-Propaganda ist mehr aus der Situation entstanden, aus Intuition - und brutaler Konsequenz.

In deinem Buch sagst du, dass Soziale Medien das perfekte Werkzeug für emotionale Ansteckung sind, sowohl im positiven als auch negativen Sinne. In welchem Zusammenhang stehen soziale Medien mit Propaganda?

Birand Bingül: In sozialen Medien wirken massenpsychologische Effekte – die Masse kann sehr emotional, völlig irrational und eine richtige Meute sein – unabhängig von Alter, Geschlecht oder Bildung. Die Propaganda der Gegenwart spielt diese Massenpsychologie permanent an, Tag für Tag – gerade in diesem Augenblick. In sozialen Medien ist massenpsychologische Ansteckung möglich, das hat auch Facebook zum Beispiel selbst getestet und herausgefunden. Das heißt:

Emotionen wie Hass und Wut werden gezielt geschürt oder verstärkt. Eine Menschenmasse, die in ihrer negativen Emotion gefangen ist, kann nicht mehr klar denken und ist für Argumente nicht zugänglich. Genau das wollen Propagandist:innen erreichen. Denn das ist ihr Spielfeld. Hier sammeln sie Sympathien und Gefolgsleute ein.

Warum sind Verschwörungsbehauptungen Mittel von Propaganda?

Birand Bingül: Durch die Brille eines Kommunikationsprofis betrachtet, sind Verschwörungsbehauptungen große Deutungsrahmen. Was meine ich damit? Wenn behauptet wird, es soll eine große Umvolkung stattfinden, deutsche Bürger:innen sollen durch Migrant:innen ersetzt werden – dann können viele, viele Einzelereignisse in diesen Rahmen gesetzt werden. Warum lässt Kanzlerin Merkel so viele Flüchtlinge ins Land? Klar, ihr geht es um Umvolkung. Warum soll Einwanderung erleichtert werden? Umvolkung! Das sind alles vermeintlich kleine Beweise für die erfundene Verschwörungsbehauptung. Sie „belegen“, dass gehandelt werden muss, will man das Übel vermeiden. Bei den Propagandaparteien ist es immer 5 vor 12. Außerdem ist man auch moralisch im Recht, schließlich ist das böse, was da passiert. Dieser angeblich tiefere Sinn ist attraktiv für viele Menschen – sie glauben, sie durchschauen das große Spiel, das gespielt wird – und erheben sich über andere.

Mit welchen Strategien können wir Propaganda entgegenwirken?

Birand Bingül: Zuallererst müssen wir verstehen und anerkennen, dass ein großer Masterplan abläuft, über Jahre angelegt. Dagegen kommt man nicht mit der Gießkanne an. Man wird ein genauso großes Konzept brauchen, um systematisch dagegen zu halten. Dazu können viele beitragen: natürlich die Politik, aber auch aufklärerische Medien, NGOs und andere. Das Rezept ist nicht schnell geschrieben. Und ich habe, wie ich auch im Buch schreibe, Bauchschmerzen, solche Strategien öffentlich ausrollen. Das tut die Propaganda ja auch nicht.

Über Birand Bingül

Der gebürtige Wickeder studierte Journalistik und Anglistik an der Universität Dortmund. Seine Laufbahn ist geprägt von journalistischen und kommunikativen Führungsaufgaben: Er arbeitete beim WDR als Chef vom Dienst und Reporter für die Tagesschau sowie die Tagesthemen, leitete darüber hinaus die Redaktion des Fernsehmagazins Cosmo TV und moderierte für Funkhaus Europa. Außerdem war er stellvertretender Unternehmenssprecher und Leiter der Internen sowie der Unternehmenskommunikation des WDR. Bis Ende 2021 war Birand Kommunikationschef des öffentlich-rechtlichen Senderverbunds ARD. Anfang 2022 ist Birand als Director Strategy am Standort Köln zu fischerAppelt gekommen, kurz danach hat er eine Schlüsselrolle als Geschäftsführer bei fischerAppelt, advisors eingenommen.